Mit Verwunderung haben wir in der zurückliegenden Woche vernommen, dass sich die nordrhein-westfälischen Vertreter der ersten und zweiten Bundesliga sowie das Innenministerium des Landes NRW auf den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung geeinigt haben. Dabei sieht das elfseitige Papier, das am morgigen Montag (13.09.2020) von den beteiligten Vertragsparteien ratifiziert wird, die Einrichtung und Erhaltung sogenannter „Stadionallianzen“ vor, die ausgewählte Handlungsfelder des Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit (NKSS) konkretisieren soll. Ziel der Vereinbarung sei, die „Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen nachhaltig zu erhöhen, der Entwicklung von Gewalt entschieden entgegen zu treten und die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Akteure zu stärken“.
Wir, ein Zusammenschluss von verschiedenen Fanhilfen aus Nordrhein-Westfalen, stehen dem Abschluss einer solchen Kooperationsvereinbarung äußerst kritisch gegenüber, da sie den örtlichen Polizeibehörden unter dem Vorwand der vermeintlichen Sicherheit neue Handlungsräume eröffnet und eine verstärkte Kriminalisierung von Fußballfans erwarten lässt. Dabei sind einige Inhalte des Papiers aus unserer Sicht besonders problematisch, weswegen wir sie im Folgenden skizzieren möchten:
So sieht ein wesentlicher Punkt des Papiers vor, dass die unterzeichnenden Vereine zu öffentlichen Distanzierungen gedrängt werden können, wenn im Rahmen eines Fußballspiels „diffamierende Meinungsäußerungen“ durch Fans zu sehen oder zu hören waren. Eine solche Distanzierung „von unerwünschten Verhaltensweisen“ würde dabei „die Werteorientierung“ des jeweiligen Vereines „stärken und eine ‚Legitimierung‘ solcher Verhaltensweisen durch Verharmlosung oder Duldung“ verhindern. Hierbei ist jedoch besonders fragwürdig, dass eine Positionierung des Vereins bereits explizit unterhalb der Schwelle der strafrechtlichen Relevanz von Meinungsäußerungen eingefordert werden kann. Das erlaubt den Schluss, dass die Meinungshoheit künftig allein durch die Vertragspartner beansprucht wird, wodurch die Grenze des Sagbaren nicht mehr durch formelle Gesetze und ordentliche Gerichte, sondern durch örtliche Ordnungsbehörden definiert werden könnte.
Doch auch die Durchführung von gemeinsamen Vorbesprechungen zu Stadionverbotsfahren stellt aus unserer Sicht einen Rückschritt in Bezug auf die Vergabepraxis von Stadionverboten dar. Lange Zeit erfolgte die Aussprache eines solchen Verbots ohne das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung oder einer vorherigen Anhörung des Betroffen, wodurch Stadionverbote jahrelang in der Kritik von Fanszenen und Fanverbänden standen. Erfreulicherweise haben sich in der jüngeren Vergangenheit allerdings an vielen Standorten Verfahren etabliert, die etwa ein Anhörungsrecht des Betroffenen oder eine Einbeziehung von Sozialpädagogen vorsehen und die Verhängung eines solchen Stadionverbotes somit an höhere Hürden knüpfen. Statt diesen Weg also konsequent weiterzuführen und auszubauen, stellt die Kooperationsvereinbarung leider auch in diesem Punkt einen Rückschritt dar. So wird der Polizei hier ein weitreichendes Mitspracherecht eingeräumt, wobei sie keinen Hehl daraus macht, zeitnah und konsequent ausgesprochene Stadionverbote als legitimes Mittel zur Gefahrenabwehr anzusehen und sie mit anderen polizeilichen Maßnahmen verzahnen zu wollen. Es ist daher zu befürchten, dass die Vergabe von Stadionverboten zukünftig wieder seltener dem Ultima Ratio-Prinzip unterliegen wird.
Darüber hinaus empfinden wir auch die Forcierung einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit und die Schaffung „neuraligischer Punkte“ innerhalb der Stadien als problematisch.
Statt die Praktiken der Polizei angesichts wiederkehrender Konflikte mit Anhängern kritisch zu begleiten oder gar auf den Prüfstand zu stellen, fördern die Vereine stattdessen eine Verschiebung des Diskurses zu Gunsten der Polizei, die sich in der Öffentlichkeit zuletzt immer häufiger für ihre Maßnahmen rechtfertigen musste. Dazu zählt auch der zweifelhafte Austausch von Informationen über Fußballfans, der bisweilen zwar immer häufiger Datenschutzbeauftragte und Verwaltungsgerichte beschäftigt, aber trotzdem durch die „Stadionallianzen“ ausgebaut werden soll.
Wir fordern die beteiligten Vereine in aller Dringlichkeit auf, den Sinn und Zweck des Schulterschlusses mit dem Innenministerium zu hinterfragen und die Ausgestaltung der „Stadionallianzen“ mindestens grundlegend zu überarbeiten. Dabei ist in unseren Augen selbsterklärend, dass eine weitreichende Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden nicht ohne die vorherige Beteiligung von Fanorganisationen, Fanprojekten und anderen etablierten Institutionen erfolgen kann. Die beteiligten Vereine sollten nicht außer Acht lassen, dass sie gerade in diesen Tagen eine große Verantwortung für ihre aktiven Fans tragen. Wir erwarten daher, dass sie sich nicht zum politischen Spielball des Innenministers machen lassen und dabei mitwirken, die Rechte von Fans in und um die Stadien weiter einzuschränken.
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